Mit knapp 3500 Quadratkilometern verfügt Belgien über ein vergleichsweise kleines Hoheitsgewässer, das nur einen halben Prozent der gesamten Nordsee ausmacht. Trotzdem häufen sich allein auf dieser Fläche über 300 bekannte Wracks, von denen inzwischen 55 von UNESCO als unter Wasser liegendes Kulturerbe anerkannt und unter einen besonderen Schutz gestellt sind. Eines davon das Frachtschiff „Kilmore“ etwa 17 Seemeilen vor Niewpoort.
Das 87 Meter lange und 11,6 Meter breite Frachtschiff wurde zusammen mit vier weiteren im Jahr 1889 von der britischen „Johnston Line“ aus Liverpool in Auftrag gegeben. Die Ausführende Werft war „Edwards & Sons“ im nordenglischen Howdon-on-Tyne. Bereits vier Monate später ist das 2215 Bruttoregistertonnen messende Schiff vom Stapel gelaufen und wurde 1890 für den Liniendienst zwischen Griechenland, Türkei und den Schwarzmeer-Anrainerstaaten in Dienst gestellt. Allerdings wurde „Kilmore“ schon nach wenigen Jahren zurück in die Nordsee versetzt, wo dringend Transportkapazitäten benötigt wurden. Für ihre Zeit war sie ein recht modernes Schiff, das insbesondere durch eine 218 P.S. starke Verbunddampfmaschine mit drei Expansionsstufen und Rudermaschine mit Dampfantrieb gekennzeichnet war.
Während ihrer Dienstzeit wurde der Dampfer von mehreren Schiffsunglücken heimgesucht. Zuerst kollidierte er im Jahr 1898 mit dem unbeleuchtet fahrenden griechischen Segelschiff „Taxiarchis“ im Thermaischen Golf, wobei das letztere unverzüglich sank. Nur ein Besatzungsmitglied konnte gerettet werden. Sechs Jahre später kollidierte „Kilmore“ erneut. Diesmal mit dem Dampfschiff „Emerald“, das ebenfalls den Kürzeren zog, aber glücklicherweise ohne Menschenverluste auf dem Meeresboden landete. Das finale Kapitel im Leben des Frachters wurde im Juli 1906 geschrieben, als er mit einer 25-köpfigen Besatzung von Antwerpen nach Liverpool mit einer Ladung Porzellan fuhr. Auf dem Weg begegnete er auf Höhe des belgischen Nieuwpoort dem entgegenkommenden Frachtschiff „Montezuma“. Obwohl die Seeverkehrsregeln es fordern, dass beide Fahrzeuge in einem solchen Fall ihr Ruder nach Steuerbord legen, um einander Backbord-an-Backbord in einer sicheren Entfernung zu passieren, versuchte der Kapitän der „Kilmore“ genau umgekehrtes Manöver durchzuführen, was auf der „Montezuma“ missverstanden wurde. Trotz eines Ausweichmanövers kamen sich beide Schiffe derart nahe, das „Montezuma“ die Steuerbordseite der „Kilmore“ mit ihrem ausschwenkenden Heck aufriss. Vorm Gericht wurde die Schuld am Umfall dem Kapitän der „Kilmore“ gegeben.
Heute liegt das Wrack aufrecht in einer Tiefe von etwa 30 Metern. Der Rumpf ist weitgehend zusammengebrochen und hat den Maschinen- und Kesselraum freigegeben. Hin und wieder findet man in den Laderäumen Reste der Porzellanladung, Flachglas und Kupferbolzen bzw. vereinzelte Decksmaschinen. Das Totholz mit dem Propeller und Ruder sind weitgehend intakt geblieben. Die Reste des Dampferhecks bilden den Höchsten Punkt über Grund. Die Fischereiverbote sorgen für eine enorme Vielfalt an Leben mit unendlichen Schwärmen von Franzosendorschen. In jeder Ecke findet man riesige Seespinnen und Taschenkrebse. Zusätzlich wurde 2023 das Wrack umfassend bereinigt, wobei nach 25 Tauchgängen insgesamt 4,5 Tonnen an Geisternetzen, 3 Tonnen Angelblei halbe Tonne an Metallteilen und Ketten geborgen wurden.
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