Torpedobootzerstörer HMS „Chamois“ im Golf von Patras
Der Wrackzeichner
5. Juni
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Bei seiner letzten Fahrt wurde das stolze Schiff der britischen Royal Navy zum Opfer einer Katastrophe. Um genau zu sein – einer Resonanzkatastrophe…
HMS “Chamois” war ein sogenannter Torpedobootzerstörer der „30-Knoten-Klasse“, die später in die „C-Class“ umbenannt wurde. Sie war im Wesentlichen ein überdimensionierter Torpedoboot, eigens dazu konzipiert, kleinere Torpedoboote mit Hilfe leichter Schnellfeuergeschütze zu bekämpfen. Dazu erreichte sie ähnliche Geschwindigkeiten und war genauso wendig wie ihre Counterparts. Marinehistorisch entwickelte sich daraus im ersten Weltkrieg die neue Schiffsklasse der Zerstörer, die in der Form bis in den zweiten Weltkrieg überdauerte. Deshalb sind solche Schiffe wichtige Zeitzeugen der Schiffbaugeschichte im späten 19. Jahrhundert.
„Chamois“ war eines von 40 Fahrzeugen, die in zehn Unterserien auf verschiedenen Werften gebaut wurden und vom Baulos zum Baulos nur die technische Spezifikation, Geschwindigkeit und eine grobe Grundanordnung gemeinsam hatten. Bei einer Länge über Alles von 67 Metern und einer Verdrängung von nur 400 Tonnen brachte sie es bei voller Fahrt, wie die Klassebezeichnung bereits verrät, auf beachtliche 30 Knoten. Dazu brauchte sie vier Dampfkessel und zwei Dreifachexpansionsmaschinen mit einer installierten Leistung von 6000 P.S., die auf zwei Antriebswellen wirkten. Die Bewaffnung bestand aus einer 12-Pfunder Kanone am Bug, fünf 6-Pfunder an den Seiten, bzw. am Heck und zwei Torpedorohren für 450 mm Torpedos. Neben „Chamois“ fertigte Palmers-Werft im englischen Jarrow-on-Tyne zwischen 1896 und 1897 noch sieben weitere Schwesterschiffe. Am Anfang ihrer Dienstzeit war sie im Ärmelkanal stationiert und wurde im Jahr 1901 ins Mittelmeer verlegt.
Im Jahr 1904 passierte an Bord während der Probefahrt ein kurioser wie bizarrer Unfall. Der Auslöser war ein bei voller Fahrt abgebrochener Propellerblatt, der die Antriebswelle mit einer derartigen Unwucht anregte, dass sie aus ihrem Wellenbock ausbrach und das Hinterschiff durchbohrte. „Chamois“ drohte übers Heck zu sinken als zwei weitere Kriegsschiffe zur Hilfe kamen und versuchten sie mit Leinen über Wasser zu halten. Leider kollabierten die Querschotte unterm Druck des Leckwassers nacheinander und verursachten eine sogenannte progressive Flutung entlang des Schiffs. Letztendlich ging das Schiff in 55 Metern Tiefe zwei Seemeilen nördlich des heutigen Dorfs Araxos verloren. Zwar wurde die gesamte 60-köpfige Besatzung gerettet, allerdings erlag einer der vom Dampf verbrühten Heizer später seinen Verbrennungen.
Heute liegt das fast bis zum Oberdeck im Schlamm eingesunkene Wrack auf dem ebenen Kiel, wobei 120 Jahre auf dem Meeresgrund nicht spurlos an ihm vorbeigegangen sind. Fast das gesamte Deck mit den Resten der Bewaffnung, Davitstützen und sonstiger Deckausrüstung sind dicht mit Schwämmen und Fischernetzen bedeckt. Bis auf wenige Reste sind die wesentlichen Details wie die Dutzenden von Lufthutzen durch die Berufsfischerei niedergerissen. Vermutlich ist es ebenfalls den Fischern zu verdanken, dass das Vorschiff in den letzten zehn Jahren einen beschleunigten Verfall erleidet. Die Tauchbedingungen können sehr tückisch mit einer Sicht von nur wenigen Metern werden. Nichtsdestotrotz lohnt sich der Tauchgang allein schon deshalb, weil es vermutlich das einzige Wrack seiner Art in griechischen Gewässern ist.
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