Als Karonymik (vom griechischen „Karavos“ – Schiff und „Onoma“ – Name) bezeichnet man eine Wissenschaft, die sich mit der Geschichte und Ursprüngen von Schiffsnamen, sowie mit Traditionen und Systemen bei der Benennung von einzelnen Schiffen und von ganzen Flotten beschäftigt. Ein bestimmter Schiffsname hat eine sehr negative Vorgeschichte und gilt bei der russischen Marine schon seit langem als schlechter Omen.
Am 24. Februar 2022 ging eine Geschichte im Zusammenhang mit dem russischen Überfall auf die Ukraine besonders um die Welt. Es war ein Funkaustausch zwischen einem russischen Kriegsschiff und einem dramatisch unterlegenen ukrainischen Grenzschutzposten auf der Schlangeninsel an der rumänisch-ukrainischen Seegrenze. Die Beamten wurden zur Kapitulation aufgefordert, worauf sie mit ihrer Antwort sehr lakonisch und unmissverständlich beschrieben haben, wohin die Angreifer mit ihren Drohungen hingehen sollten. Im Anschluss wurde die Insel beschossen und eingenommen, wobei dieser Zwischenfall zum Symbol des ukrainischen Kampfgeistes wurde. Eines der beiden angreifenden Schiffe war der Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“ – das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte. Ihre Versenkung am 13. April 2022 wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Lehrbücher zur Seekriegsführung eingehen. Und zwar alleine schon deswegen, weil sie mit ihren 187 Metern Länge lediglich das zweite Schiff dieser Größenordnung war, das seit dem Ende des zweiten Weltkriegs bei Kampfhandlungen verloren ging. Fast genau 40 Jahre davor wurde der Kreuzer „General Belgrano“ im Falklandkrieg versenkt. Doch es war nicht die Größe der „Moskwa“, sondern die Umstände ihrer Versenkung, die weltweit sämtliche Militärexperten völlig baff machten.
Der Kreuzer war das Typschiff des Projekts 1164 „Atlant“, welches als schwimmendes Arsenal zur Bekämpfung von großen Flottenverbänden konzipiert wurde. In dieser Funktion sollte sie es im Alleingang mit einem ganzen amerikanischen Flugzeugträgerverband aufnehmen können und ist deshalb mit den modernsten, leistungsfähigsten und tief echelonierten (gestaffelten) Luftraumüberwachungs- und Flugabwehrsystemen der damaligen Zeit ausgestattet bzw. immer wieder modernisiert worden. So sollte sie nicht nur sich, sondern einen ganzen eigenen Schiffsverband verteidigen können. In dieser Funktion als eine vorgelagerte Flugabwehrbatterie wurde sie auch in Richtung Odessa geschickt, um vom Meer aus die russische Landungsoperation dort zu unterstützen. Desto unglaublicher ist die Tatsache, dass „Moskwa“ durch zwei vergleichsweise kleine und langsame ukrainische Seezielflugkörper getroffen wurde. Normalerweise würde man dutzende von solchen Flugkörpern in Verbindung mit diversen taktischen Raffinessen benötigen, um die Flugabwehr des Schiffs zu überfordern – sie zu „sättigen“ im Fachjargon. Zudem sind derart große Kriegsschiffe extrem überlebensfähig: wasserdichte Unterteilung, Systemredundanzen, stellenweise Panzerung, gegenseitige Abschirmung von wichtigen Bereichen durch weniger wichtige, Schiffssicherungssysteme jeglicher Art. Alles zusammen sorgt dafür, dass ukrainische Flugkörper, die eigentlich gegen zwei bis drei Klassen kleinere und deutlich schwächer geschützte Einheiten wie Korvetten und Fregatten konzipiert wurden, bestenfalls einen sogenannten „Mission Kill“ (eine Beschädigung, die zum Missionsabbruch führt) aber niemals ein „Unit Kill“ – eine Versenkung hätten bewirken können. Und doch brannte „Moskwa“ aus und ging im Schlepp ca. 30 Seemeilen von der Abschussstelle entfernt unter. Des Rätsels mögliche Lösung liegt darin, dass der Kreuzer zusammen mit seinen Schwesterschiffen im ukrainischen Nikolaew gebaut wurde und das letzte Schiff der Serie – die „Ukraine“ sogar bis heute als eine unfertige Bauruine auf dem Werftgelände steht. Demnach wusste die ukrainische Seite bestens über die Schwächen und blinde Flecken ihres eigenen Werks.
Heute liegt der Kreuzer in einer Maximaltiefe von ca. 60 Metern in der Position 44°55’12“ N – 031°29’34“ E auf dem ebenen Meeresgrund und wurde offiziell in den Bestand des Zentralmuseums der Ukrainischen Marine aufgenommen. Interessanterweise gibt es in unmittelbarer Nähe ein weites russisches Wrack – das im Jahr 1908 als Ziel für Torpedoübungen versenktes Panzerschiff „Ekaterina II“. Und wie der Zufall es so will, nur 100 Seemeilen entfernt liegt das Wrack des sowjetischen Großzerstörers „Moskwa“, welcher 1941 bei einer Seeschlacht vor Constanta versenkt wurde. Und da wären wir wieder bei dem Thema der Karonymik…
Seit der Gründung der Kaiserlich Russischen Marine im Jahr 1696 waren insgesamt 18 Kriegsschiffe nach Moskau benannt (die für zwei Drittel dieser Zeit nicht einmal die Hauptstadt Russlands war). Dabei prägte eine Reihe von negativen Ereignissen bei der Marine den Aberglauben, dass der Name unter keinem guten Stern stünde. Neben dem Untergang des Zerstörers und dem neusten Unglück gab es noch den Uboot-Jagd Hubschrauberträger „Moskwa“, der 1975 von einem schweren Brand heimgesucht wurde und 1980 eine Grundberührung erlitt, ganz zu schweigen von kleineren Unfällen und sogar einer Welle von Selbstmorden an Bord. Das gleichnamige Linienschiff des 18. Jahrhunderts zerbrach in der Ostsee im Sturm, wobei die Hälfte der Besatzung starb. Der schwere Kreuzer „Moskwa“ (eigentlich ein deutscher Entwurf der Admiral-Hipper-Klasse aus dem 2. Weltkrieg) ist noch auf dem Helgen obsolet geworden und wurde ebendort in 1950-ern verschrottet.
Ursprünglich hieß die heutige „Moskwa“ anders. Sie ging 1979 unter dem Namen „Slawa“ („Ruhm“) vom Stapel. Nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es kein Geld für eine aufwendige Generalüberholung, die sie benötigte, und so sprang Moskau als Patenstadt ein, worauf der Name im Jahr 1996 entsprechend geändert wurde. Scheinbar keine gute Entscheidung…
дуже добре