Raddampfer hatten sowohl für die Schiffsliebhaber als auch für gewöhnliche Betrachter schon immer ein Charme und strahlten eine gewisse Romantik aus. Häufig behalten sie diese Romantik auch nach ihrem Untergang, wobei dann nur noch die Taucher etwas davon mitkriegen. Nun leider sind die meisten Raddampferwracks derart alt, dass sie nur noch aus einem traurigen Häuflein Eisen- und Holzreste bestehen. Im Fall des Passagierschiffs „Dürnstein“, welches vor der südukrainischen Stadt Tschernomorsk liegt, trifft diese Beschreibung aber überhaupt nicht zu.
Der 57 Meter lange und 12 Meter breite Raddampfer wurde 1899 in Budapest unter dem Namen „Siraly“ gebaut und ging 1904 unter dem Namen „Dürnstein“ in den Besitz der Ersten Dampfschifffahrtsgesellschaft über. Zu diesem Zeitpunkt war die I.DDSG mit ihren rund 200 Schiffen und 1100 Lastkähnen die größte Binnenreederei der Welt. Den Großteil seines Lebens bediente der nach einer österreichischen Kleinstadt benannte Dampfer Passagierverbindungen auf der Donau im Raum Wachau. Als ein sogenannter „Doppelender“ konnte er gleichschnell nach vorne und nach achtern fahren, wobei an beiden Schiffsenden jeweils eine Ruderanlage verbaut war. Wie jedes Fluss- und Binnenschiff hatte „Dürnstein“ einen sehr geringen Tiefgang und einen sehr niedrigen Freibord, was für die Fahrt durchs Glattwasser so weit in Ordnung war, aber das Schiff auf dem offenen Meer völlig seeuntüchtig machte.
Während des 2. Weltkriegs wurde die Wehrmacht mit dem Problem konfrontiert, dass es nicht genug Transportschiffe gab, um eine zuverlässige Verbindung zwischen besetzten südukrainischen Städten und rumänischen Knotenpunkten aufzubauen. Zu diesem Zweck wurden viele alte und ausgediente Dampfer akquiriert und als Lastkähne im nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres bzw. auf ukrainischen Flüssen eingesetzt. Dafür wurden mehrere davon beim günstigen Wetter mit langen Trossen als Schleppverbände hinter Schleppern gezogen, wobei viele der provisorisch wetterfest gemachten Schiffe im Schlepp untergingen. Zum Teil weil sie nicht genug Längsfestigkeit für den Seegang besaßen oder weil sie unter diesen Bedingungen einfach nicht kentersicher genug waren. Genau dieses Schicksal ereilte im Januar 1944 auch die „Dürnstein“ auf dem Weg von Odessa nach Sulina, nachdem sie zuvor auf dem Dnepr-Fluss als Sanitärschiff eingesetzt wurde. Zwar gab es Zeitlang eine alternative Untergangsversion, nach der „Dürnstein“ von einem sowjetischen Uboot torpediert sei, doch diese Version wurde später widerlegt.
Es dauerte drei Jahrzehnte bis das Wrack zufällig durch das sowjetische hydrographische Institut bei Vermessungsarbeiten südlich der ukrainischen Hafenstadt Tschernomorsk (damals Iljitschowsk) in 23 Metern Tiefe entdeckt wurde. Eine Identifikation des Wrack konnte damals nicht durchgeführt werden und man versäumte die exakte Position zu dokumentieren, sodass „Dürnstein“ für weitere drei Jahrzehnte verschollen blieb. Erst 2006 wurde das Wrack durch eine lokale Tauchbasis systematisch gesucht und aufgespürt. Allerdingst dauerte es nochmals vier Jahre, bis man 2010 im Schlamm die Entscheidenden Beweise fand, dass es sich wirklich um die „Dürnstein“ handelt. Es war ein massiver Holzschrank in der Kapitänskabine, in dem diverse Schiffsdokumente aufbewahrt wurden. Ein Glücksfall, dass sie nach all den Jahren erhalten blieben, weil nicht einmal die zuvor gefundene Schiffsglocke bei der Suche nach der Wahrheit half.
Heute befindet sich das Wrack in einem erstaunlich guten Zustand, denn es aus irgendeinem Grund von der Grundnetzfischerei verschont blieb. Zwar brachen die Brücke und das Promenadendeck nach und nach zusammen, aber das Hauptdeck mit Passagierräumen und die Radkästen blieben nahezu vollständig erhalten. Mittschiffs ragt das Schornstein bis zu 5 Meter Höhe über Grund mit einem kleinen Dampfkessel direkt davor. Alles in einem liefert die „Dürnstein“ bemerkenswerte Einblicke in die Geschichte der Donauschifffahrt wie sie mal vor über 100 Jahren stattfand.
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